Diese Frage wurde in einem der Finanz-Szene-Podcasts im Kontext der Pläne von Flatex aufgeworfen. Ein ähnliches Gedankenspiel, das wir regelmäßig in unseren Workshops und zu Projektbeginn mit unseren Kunden aufgreifen, lautet: Wenn man heute Trade Republic neu gründen würde – was könnte man besser oder anders machen? Wie sähe ein erfolgreicher „Trade Republic Attacker“ aus?
Die Illusion der Rückkehr zu traditionellen Anbietern
Unser Erachtens ist die Annahme, dass Neobroker-Kunden im Alter zu traditionellen oder alteingesessenen Anbietern zurückkehren würden, illusorisch. Die Lücke in der User Experience zwischen etablierten Anbietern und Neobroker wie Trade Republic ist schlicht zu groß. Traditionelle Anbieter scheitern hier nicht nur an mangelndem Produktwissen, sondern an archaischen Interaktionsmustern – von mehrstufigen Login-Prozessen bis zu PDF-gestützten Wertpapierinformationen. Man braucht jetzt auch nicht mit mangelhaftem Kundensupport oder den BaFin-Schelten bei Neobroker zu kommen, das interessiert die meisten Kunden nicht – solche Argumente wirken eher verzweifelt.
Hinzu kommt ein weiterer entscheidender Punkt: Die jungen Kunden, die heute mit Scalable oder Trade Republic ihre ersten Erfahrungen sammeln, werden perspektivisch das Vermögen ihrer Eltern erben. Diese Generation wird sich kaum nochmal für einen klassischen Anbieter entscheiden, wenn sie bereits frühzeitig eine überzeugende digitale Erfahrung gemacht hat. Wer also heute kein Neukundengeschäft aufbaut und junge Kunden langfristig bindet, wird zukünftig Schwierigkeiten haben, Umsatz und Gewinn nachhaltig zu sichern. Der Fokus auf aktuell vermögende Kunden macht deshalb wenig Sinn.
Was könnte ein neuer Anbieter besser machen?
In unseren Workshops mit Kunden betrachten wir deshalb häufig zwei entgegengesetzte Enden eines Spektrums. Auf der einen Seite steht die Optimierung auf Viralität, kurzfristige Nutzerbindung und hohe Tradingfrequenz – kurz gesagt: Gambling-ähnliche Mechanismen à la Robinhood oder wie macht man ein Tradingangebot möglichst suchterregend. Ein theoretisch spannendes Gedankenspiel, praktisch jedoch weder moralisch vertretbar noch regulatorisch umsetzbar.
Auf der anderen Seite des Spektrums steht ein Ansatz, den wir als deutlich zukunftsfähiger betrachten: Eine Plattform, deren Mehrwert weit über bloße Trading-Angebote hinausgeht. Junge Kunden sehen sich heute mit einer Welt konfrontiert, in der der vorhersehbare Fortschritt nicht mehr selbstverständlich ist. Gerade deshalb braucht es einen modernen Broker, der über das reine Handeln mit Aktien und ETFs hinausgeht und echten Mehrwert schafft.
Vom Interface zum Interlace: Warum Content- und Community-Layer entscheidend sind
Plattformen wie „Vickii“ entwickeln derzeit „Financial Narrative Engines“ – KI-Systeme, die individuelle Anlegergeschichten in Echtzeit generieren. Statt trockener Performance-Berichte erhalten Nutzer personalisierte Inhalte, die Finanzthemen greifbar machen.
Statt auf die Integration von Finanzthemen in den Schulunterricht zu warten (was ohnehin selten praxisnah gelingt), können moderne Anbieter Beraterwissen direkt digitalisieren und in die Plattform integrieren. Ein spannender Touchpoint, der über klassische Performancezahlen und Depotübersichten hinausgeht, wäre die automatisierte Erstellung von Aktien-Handouts zu Positionen im Depot, wie es beispielsweise Vickii gerade probiert. Diese Handouts bündeln relevante Informationen aus verschiedenen Quellen wie Analystenmeinungen, Nachrichten, ESG-Ratings und Social-Media-Trends zu übersichtlichen, leicht konsumierbaren Inhalten.
Dabei entsteht ein neuer Interaktionspunkt in der App, der insbesondere im Discovery-Bereich wertvoll ist: Nutzer erhalten nicht nur Einblicke in bestehende Depotpositionen, sondern entdecken aktiv neue Investmentmöglichkeiten und aktuelle Trends. Durch die Integration eines intelligenten Content-Layers könnte die App beispielsweise automatisch wöchentliche oder tägliche personalisierte Handouts generieren, die dem Nutzer direkt in seinem Feed angezeigt werden oder später auch über Voice Output über den Sprachassistenten abgefragt werden können.
Um die Inhalte besonders attraktiv zu gestalten, könnten diese Handouts visuell modern aufbereitet werden – etwa als kurze Videos im Stil von Instagram Reels oder TikToks. Ein personalisierter Videofeed, abgestimmt auf die Interessen und das Portfolio des Nutzers, würde insbesondere jüngere Zielgruppen ansprechen und eine deutlich höhere Aufmerksamkeit erzeugen.
Attention Layer as a Service: Digitalisiertes Beraterwissen & Neuinterpretation der Finanzbildung
Zusätzlich könnte eine Vermenschlichung der Inhalte erfolgen: Ein Avatar oder digitaler Berater, der zur Zielgruppe passt, könnte die Inhalte präsentieren und so Vertrauen und emotionale Nähe schaffen. Dies erhöht nicht nur die Relevanz der Inhalte für den Nutzer, sondern stärkt auch die Bindung zur Plattform. Hier könnte auch eine enge Integration einer „Book a Call“-Funktion sinnvoll sein, die zu einem menschlichen Berater führt, der direkten Sichtzugriff auf das Portfolio hat.
Aus Business-Perspektive wäre dieser Ansatz besonders interessant: Unsere Erfahrungen zeigen, dass mehr Aufmerksamkeit durch personalisierte und ansprechend präsentierte Inhalte zu einer höheren Nutzungsfrequenz führt – was sich wiederum positiv auf Handelsaktivitäten und Umsatz auswirkt. Ein solcher Content-Layer wäre daher nicht nur ein innovativer Touchpoint für Nutzer, sondern auch ein strategischer Hebel für nachhaltiges Wachstum.
Ubiquitäre Integration von Finanzdienstleistungen („Ubiquitous Finance“)
Buy Now Pay Later (BNPL) hat eindrucksvoll gezeigt, wie nahtlos Finanzprozesse gestaltet werden können. Der eigentliche Finanzdienstleister tritt dabei in den Hintergrund; stattdessen stehen Kundennutzen und Nutzerfreundlichkeit im Vordergrund.
Analog dazu könnte Embedded Investing dafür sorgen, dass Investieren intuitiv in alltägliche Prozesse eingebettet wird. So könnten beispielsweise Spar- und Investmententscheidungen direkt dort stattfinden, wo Konsumenten ohnehin aktiv sind: beim Online-Shopping, beim Reisen oder beim Konsum digitaler Inhalte.
Konkret könnte dies bedeuten, dass beim Kauf eines Smartphones die Option erscheint, gleichzeitig in Aktien des Herstellerunternehmens als Belohnung zu investieren. Oder Supermarkteinkäufe könnten automatisch aufgerundet und die Differenz in ETFs angelegt werden. Ähnlich wie BNPL personalisierte Kreditangebote macht, könnten Embedded Investing-Plattformen das Verbrauchsverhalten analysieren, um maßgeschneiderte Investmentvorschläge zu unterbreiten. One-Click-Investments oder automatisierte Anlagestrategien basierend auf persönlichen Zielen könnten die Prozesse weiter vereinfachen. Durch solche kontextbezogenen und reibungslosen Integrationen könnte Investieren zu einem intuitiven Teil des Alltags werden und die Hemmschwelle für finanzielle Vorsorge deutlich gesenkt werden.
Fazit
Ein „Trade Republic Attacker“ muss potenzielle Kunden erreichen, bevor diese ein Depot bei einem Neobroker eröffnen. Während Neobroker wie Trade Republic sich auf HENRYs (High Earner, Not Yet Rich) konzentrieren und darauf setzen, dass diese zu vermögenden Kunden werden – wodurch sie traditionellen Anbietern in den letzten Jahren Kundenzuwächse streitig gemacht haben – können traditionelle Anbieter mit den genannten Ansätzen den Spieß umdrehen und noch früher in der Kundenakquise ansetzen. Vielleicht würde es zu Beginn auch reichen, einfach mal ein gutes Kinder- und Familiendepot anzubieten.