Carlota Perez’ Theorie der technologischen Revolutionen unterteilt den Entwicklungsverlauf neuer Technologien in zwei Hauptphasen: eine anfängliche Installationsphase und eine anschließende Einsatz- bzw. Deployment-Phase. In der Installationsperiode tritt die neue Technologie in den Markt ein, es entsteht eine „kambrische Explosion“ an Innovationen und Infrastrukturen, begleitet von spekulativer Euphorie. Darauf folgt typischerweise ein Wendepunkt – oft markiert durch einen finanziellen Crash – der den Übergang in die Einsatzphase einleitet. In dieser Deployment-Phase erfolgt die breite gesellschaftliche Durchdringung der Technik: Nach dem Sturm der Experimente und Blasen entstehen nachhaltige Geschäftsmodelle, regulatorische Rahmen und produktive Anwendungen.
In diesem Fachbeitrag soll der Kryptomarkt im Lichte von Perez’ Modell betrachtet werden. Die zentrale Frage ist, ob der Markt nach mehr als einem Jahrzehnt nun den Übergang von der experimentellen Installationsphase in eine stabile, regulierte Einsatzperiode vollzieht, oder ob jüngste Entwicklungen – politische Einflussfaktoren, betrügerische Akteure und anhaltende spekulative Trends – darauf hindeuten, dass der Markt weiterhin unreif im Sinne der Installationsphase ist. Diese Frage soll nun entlang der Perez’schen Phasenstruktur analysiert werden.

Die Installationsphase des Kryptomarktes
Die Geschichte des Kryptomarktes seit Bitcoin’s Entstehung 2009 zeigt alle typischen Merkmale einer Perez’schen Installationsperiode. In der Frühphase etablierte sich die technische Infrastruktur: das Bitcoin-Netzwerk als erstes funktionierendes Blockchain-System, später die Einführung von Ethereum (2015) mit Smart Contracts als Basis für dezentrale Anwendungen. Diese Grundlagen führten zu einem explosionsartigen Aufkommen neuer Projekte – von alternativen Kryptowährungen (Altcoins) bis hin zu Initial Coin Offerings (ICOs) um 2016/17 – vergleichbar mit der von Perez beschriebenen „Startup-Explosion“ in frühen Technologierevolutionen. Begleitet wurde diese Aufbauzeit von immer neuen spekulativen Blasen: Der Bitcoin-Markt erlebte innerhalb von 15 Jahren mindestens vier extreme Boom-Bust-Zyklen (u.a. 2011, 2013, 2017, 2021) mit exponentiellen Kursanstiegen und heftigen Einbrüchen. Beispielsweise stieg der Preis von Bitcoin 2017 rasant an, befeuert durch ICO-Spekulation, um Anfang 2018 in einem Crash ~70% an Wert zu verlieren. Dennoch wuchs in jeder Welle die Marktinfrastruktur weiter – etwa Krypto-Börsen wie Coinbase und Binance, die während der Installationsphase entstanden, vergleichbar den Schienen oder Server-Farmen früherer Revolutionen.
Charakteristisch für die Installationsphase ist auch die hohe Volatilität und das Entstehen von Blasen, gefolgt von ebenso drastischen Korrekturen. Ein drastisches Beispiel liefern die Jahre 2020/21: Getrieben von DeFi und NFT-Hype sowie dem Einstieg zahlreicher neuer Anleger (bis hin zu etlichen Prominenten), kletterte die Gesamtmarktkapitalisierung aller Kryptowährungen im November 2021 auf knapp 3 Billionen US-Dollar, um danach im Krypto-Winter 2022 auf unter 800 Milliarden US-Dollar einzubrechen. Dieser Crash vernichtete innerhalb eines Jahres über 2 Billionen US-Dollar an Papierwert – ein Signal für die von Perez definierte „Frenzy-Phase“. (Die Frenzy-Phase nach Perez ist der Höhepunkt der spekulativen Euphorie in der Installationsperiode, in der übermäßige Investitionen und Hype einen Boom erzeugen, der letztlich in einem abrupten Crash endet). Zugleich offenbarten Ereignisse wie der Kollaps des Terra-LUNA-Stablecoin und die spektakuläre Insolvenz der Handelsplattform FTX im Jahr 2022 die Verwundbarkeiten eines noch unreifen Finanzsystems. Solche Zusammenbrüche entsprechen genau dem Muster, das Perez am Ende der Installationsperiode beobachtet: Eine Phase „irrationaler Überschwänglichkeit“ entlädt sich in einem Zusammenbruch, der als reinigendes Gewitter fungiert.
Die Wahrnehmung durch Institutionen und traditionelle Finanzinstitutionen war in der Installationsphase zwiegespalten. Anfangs dominierten Skepsis und Ablehnung: So erklärte z.B. 2017 der CEO von JP Morgan, Jamie Dimon, Bitcoin sei „ein Betrug“ und „wird in die Luft fliegen“ – stellvertretend für viele Banker, die Kryptowährungen als substanzlose Tulpenmanie betrachteten. Regulierungsbehörden warnten Investoren früh (die britische FCA etwa 2021, man solle bereit sein, „alles Geld zu verlieren“) und griffen 2017/18 gegen ICO-Missbräuche durch. Gleichzeitig zog der rasante Wertzuwachs spekulative Anleger an und erste risikofreudige Investoren aus dem Tech-Sektor begannen einzusteigen. In der späten Installationsphase wuchs die institutionelle Aufmerksamkeit: 2020/21 investierten Firmen wie MicroStrategy oder Tesla in Bitcoin, erste große Börsenunternehmen (Coinbase 2021) gingen an die Börse, und traditionelle Zahlungsdienstleister wie PayPal öffneten sich für Krypto.
Diese Schritte gehörten zwar noch zur Frenzy-Phase – oft getrieben von der Erwartung kurzfristiger Gewinne – signalisierten aber, dass das Establishment das Krypto-Phänomen nicht länger ignorierte. Dennoch kann man bis 2022 von einer unreifen Marktphase sprechen: Der Wertanstieg beruhte überwiegend auf spekulativem Vertrauen statt realwirtschaftlicher Nutzung, und viele der neuen „Krypto-Millionäre“ wie auch Projekte erwiesen sich als kurzlebig. Insgesamt erfüllt der Kryptomarkt in seiner ersten Dekade die Kriterien der Installationsphase: rasches Wachstum, massive Kapitalzuflüsse, wechselhafte Begeisterung und Ernüchterung – aber noch keine stabile Verankerung in Wirtschaft und Gesellschaft.
Anzeichen für den Übergang zur Deployment-Phase
Seit 2022 mehren sich Hinweise, dass der Kryptomarkt an der Schwelle zur Deployment-Phase stehen könnte. Nach Perez setzt in dieser Phase eine institutionelle Rekombination ein: Aus dem „wilden Westen“ der Pionierzeit formt sich ein reguliertes Umfeld, in dem kohärentes Wachstum und breite produktive Nutzung die spekulative Raserei ablösen. Eine Reihe aktueller Entwicklungen stützt die These eines solchen Übergangs.
Regulatorische Normalisierung
Wichtig ist die zunehmende regulatorische Klarheit und politische Akzeptanz gegenüber Krypto-Assets. Vor allem in Europa werden verbindliche Rahmenwerke geschaffen. Die Europäische Union verabschiedete 2023 die MiCA-Verordnung (Markets in Crypto-Assets), die Ende 2024 vollständig in Kraft getreten ist. MiCA schließt das bisherige Regulierungsvakuum und führt EU-weit harmonisierte Regeln ein, um sowohl Anlegerschutz als auch Innovationsförderung zu gewährleisten. Beobachter sprechen von einem Durchbruch, der die EU zum globalen Vorreiter einer ausgewogenen Kryptoregulierung macht. Diese regulatorischen Fortschritte – von der Gesetzgebung bis hin zur wohlwollenderen Durchsetzungspraxis – sind charakteristisch für den Beginn der Deployment-Phase, in der das institutionelle Umfeld „nach dem Crash“ neu geordnet wird. Sie schaffen das Fundament, auf dem nachhaltiges Wachstum überhaupt erst möglich wird (Perez spricht hier von der Voraussetzung für ein „goldenes Zeitalter“ nach der Installation).
In den USA – zuvor von Unsicherheit und Rechtsstreitigkeiten geprägt – zeichnet sich erstmals parteiübergreifende Unterstützung für klare Regeln ab. So verabschiedete das US-Repräsentantenhaus im Mai 2024 mit großer Mehrheit den „Financial Innovation and Technology for the 21st Century Act“ (FIT21), der einen robusten Rechtsrahmen für Digital Assets schaffen soll, bislang aber nicht in Kraft getreten ist. Gleichzeitig nimmt die aggressive Haltung der US-Börsenaufsicht (SEC) gegenüber Krypto-Unternehmen ab. Unter geänderten politischen Vorzeichen kam es zur Rücknahme bzw. Beilegung aller prominenter Klagen. Zum Beispiel wurde eine laufende Klage gegen Coinbase – die größte US-Kryptobörse – überraschend eingestellt. Solche Schritte deuten an, dass die Aufsichtsbehörden verstärkt auf Dialog und Integration anstatt Konfrontation setzen.
Institutionelle Adaption und Marktintegration
Parallel dazu steigt das Engagement etablierter Finanzakteure signifikant, was für eine Reife des Marktes spricht. 2023/24 haben einige der weltgrößten Vermögensverwalter – etwa BlackRock, Fidelity und Franklin Templeton – Anträge für Bitcoin-Spot-ETFs gestellt und tatsächlich wurden Anfang 2024 in den USA die ersten börsengehandelten Bitcoin-Spot-ETFs zugelassen. Die ETF-Zulassungen bilden eine Brücke zwischen dem traditionellen Finanzsystem und der Krypto-Welt, da sie institutionellen Investoren einen regulierten Zugang ermöglichen. Entsprechend flossen neue Kapitalströme: Große Asset Manager und sogar Banken und staatliche Investitionsfonds begannen, Bitcoin-ETFs und Kryptoprodukte in ihre Portfolios aufzunehmen.
So berichtet eine Fidelity-Analyse Anfang 2025 von wachsenden Bestrebungen, digitale Vermögenswerte als strategische Reserve zu halten – sowohl bei Unternehmen als auch vereinzelt auf staatlicher Ebene. In einigen Ländern (z.B. in Zentralasien oder Lateinamerika) wird die Haltung von Krypto-Reserven als Hedge gegen Währungsabwertung diskutiert. Der Forschungsbericht von Fidelity sieht 2025 als Wendepunkt, an dem digitale Assets den Sprung in den Mainstream vollziehen und die breite Diffusion einsetzen könnte. Wörtlich heißt es: „Wir sehen erste Anzeichen massenhafter Verbreitung und Nutzung“; die spekulative Phase sei vorbei, nun beginne eine Ära der nachhaltigen Adaption.
Auch in Deutschland kann man beobachten, dass inzwischen jede größere Bank eine eigene, oft ambitionierte Krypto Strategie verfolgt.
Diese veränderte Tonlage – weg von Hype, hin zu langfristiger Implementierung – entspricht dem Übergang zur Deployment-Phase, in der Produktionskapital das Zepter von den Spekulanten übernimmt.
Technologische Reife und reale Nutzung
Ein weiterer Hinweis auf den Reifegrad des Kryptomarkts sind Fortschritte in der Technologie und praktischen Anwendung. In den letzten Jahren haben die wichtigen Blockchain-Netzwerke technische Hürden abgebaut, was ihre Alltagstauglichkeit erhöht. So vollzog Ethereum 2022 den „Merge“ auf Proof-of-Stake, wodurch Energieverbrauch und Skalierbarkeit verbessert wurden – ein Schritt, der für institutionelle Akzeptanz relevant war. Parallel entstanden Layer-2-Lösungen (z.B. Optimism, Arbitrum, Lightning Network für Bitcoin), die Transaktionskosten und -zeiten senken und somit das Nutzererlebnis optimieren. Diese Infrastrukturreife schafft die Grundlage für vermehrte produktive Nutzung von Kryptowährungen außerhalb reiner Spekulation.
Beispielsweise haben Stablecoins – kryptobasierte digitale FIAT-Währungen – inzwischen einen Marktumfang von rund 230 Mrd. $ (Stand Feb. 2025) erreicht und werden intensiv im internationalen Zahlungsverkehr und in Schwellenländern genutzt. Ihre Verbreitung deutet auf einen echten Nachfragebedarf als transaktionsmedium hin, abseits vom Trading. Auch im E-Commerce und bei Überweisungen kommen Kryptowährungen zum Einsatz; große Zahlungsdienstleister integrieren Krypto-Zahlungen (Stripe, Visa, Mastercard mit Stablecoins, Paypal mit eigenem Stablecoin seit 2023).
DeFi-Anwendungen bieten Kredite, Sparen oder Derivatehandel ohne traditionelle Finanzintermediäre, was zwar noch ein Nischenmarkt ist, aber funktionierende Alternativen aufzeigt. Zudem werden Tokenisierung und Blockchain zunehmend in klassischen Sektoren erprobt – von der Abwicklung von Wertpapieren bis zur Nachverfolgung von Lieferketten. Diese Beispiele belegen, dass die Blockchain-Technologie beginnt, realwirtschaftlichen Nutzen zu stiften, anstatt nur Selbstzweck der Spekulation zu sein. Kurz: Immer mehr Teile des Kryptosektors entwickeln sich vom Experiment zum produktiven Einsatz, was ein zentrales Merkmal der Deployment-Phase darstellt.
Zusammengenommen deuten Regulierungserfolge, institutionelle Beteiligung und technologische Reifung darauf hin, dass der Kryptomarkt aus seiner wilden Anfangszeit herauswächst. Es entsteht ein reiferes Ökosystem, in dem Rahmenbedingungen und Vertrauen langsam zunehmen. Perez würde hierin die Vorboten sehen, dass die Goldene Ära der Technologie anbrechen kann – freilich nur, sofern die folgenden Hindernisse überwunden werden.
Hemmnisse für den Übergang zur Deployment-Phase
Trotz der genannten positiven Signale ist es keineswegs garantiert, dass der Kryptomarkt bereits vollständig in die Einsatzperiode eingetreten ist. Verschiedene Faktoren deuten darauf hin, dass das Ökosystem noch mit Unreife und Instabilitäten kämpft, wie sie für die späte Installationsphase typisch sind. Diese Hemmnisse könnten den Übergang verzögern oder gefährden:
Politische Unsicherheiten und wechselhafte Unterstützung:
Die Haltung der Politik gegenüber Krypto bleibt global uneinheitlich und teils volatil, was zu Unsicherheit beiträgt. Ein prominentes Beispiel ist der Einfluss von Donald Trump in den USA. Nachdem Trump (Stand Feb. 2025) erneut ins Amt gelangte, setzte er zwar zunächst demonstrativ pro-krypto Impulse – z.B. bezeichnete er sich im Wahlkampf als „Crypto President“ und ließ die SEC Untersuchungen gegen einige Krypto-Firmen einstellen, u.a. wurde ein Gerichtsverfahren gegen Coinbase fallengelassen. Außerdem kündigte er per Executive Order die Einrichtung einer Arbeitsgruppe und sogar einer nationalen „Crypto-Reserve“ an. Diese Schritte lösten kurzfristig Euphorie am Markt aus (Bitcoin sprang auf Nachrichten über eine mögliche Bitcoin-Reserve zeitweise zweistellig nach oben). Doch die inkonsistente Umsetzung führte rasch zu Ernüchterung: Die groß angekündigte Krypto-Reserve entpuppte sich als zögerliches Prüfgremium, was Erwartungen enttäuschte. Zudem sorgen andere politische Vorhaben Trumps – etwa protektionistische Maßnahmen oder Handelszölle – für Gegenwind an den Märkten. Die Episode verdeutlicht, dass politische Einflussnahme zweischneidig sein kann: Zwar rückt Krypto auf die Agenda mächtiger Entscheidungsträger, jedoch kann populistisch getriebene Unterstützung ebenso schnell umschlagen oder von anderen Prioritäten überlagert werden.
Allgemein bleibt die Regulierungslandschaft fragmentiert und uneinheitlich, was Planungssicherheit erschwert. Laut einer Cambridge-Studie von Ende 2024 sind die Regeln für Krypto-Assets weltweit noch immer inkonsistent und fragmentiert entlang nationaler Grenzen, trotz Bemühungen internationale Standards zu setzen. Insbesondere in vielen Schwellenländern dominieren Verbote oder restriktive Ad-hoc-Maßnahmen gegenüber einer konstruktiven Regulierung. Solche politischen Unwägbarkeiten – seien es Kurswechsel in wichtigen Märkten (z.B. mögliche harte Regulierung durch künftige Regierungen) oder schlicht das Ausbleiben einheitlicher globaler Standards – nähren Zweifel, ob der Kryptosektor bereits in ruhigeres Fahrwasser übergehen kann. Die institutionelle Rekombination nach Perez erfordert nämlich ein Mindestmaß an konstanter politischer Unterstützung und Rechtssicherheit; beides ist momentan noch brüchig.
Anhaltende spekulative Exzesse (Memecoins & Co.)
Ein weiteres Zeichen fortbestehender Unreife sind spekulative Trends, die weiterhin große Teile des Marktes prägen. Selbst nach dem Crash 2022 erlebt die Krypto-Community immer wieder Memecoin-Hypes – Phänomene, bei denen ohne fundamentalen Wert digitale „Shit-Coins“ enorme Kurssteigerungen erfahren. So schossen 2023 Coins wie PEPE in kurzer Zeit um Tausende Prozent in die Höhe, nur um danach ebenso rasch abzustürzen. Diese Spekulationsmanöver ziehen vor allem risikofreudige Kleinanleger und sogenannte „Degens“ an, während seriöse Investoren fernbleiben. Zwar war die jüngste Memecoin-Welle 2023/24 vergleichsweise isoliert (die breite Öffentlichkeit blieb nach den 2022er-Verlusten vorsichtiger), doch die Tatsache ihres Auftretens zeigt, dass Casino-Mentalität und kurzfristige Pump-and-Dump-Schemata immer noch zum Ökosystem gehören.
Beobachter kritisieren, dass Memecoins die Krypto-Branche „ruinieren“ könnten, indem sie Ressourcen und Aufmerksamkeit von seriösen Projekten abziehen. Ihre Popularität wird auch als Symptom eines unreifen Marktes gewertet – vergleichbar einem Finanzsystem, dem es noch an reifen Anlageprodukten mangelt und in dem Regulierungsabwesenheit zu Glücksspielverhalten verleitet. Befeuert werden solche Episoden oft durch Influencer-Einflüsse (Elon Musks Tweets zu Dogecoin 2021 sind ein bekanntes Beispiel, oder 2025 gar ein eigener „Trump-Memecoin“, den der Präsident kurz vor Amtsantritt lancierte). Wenn hochrangige Personen durch Worte oder gar eigene Token-Projekte Marktbewegungen auslösen, erinnert das an die irrationalen Ausschläge der Installationsphase. Für einen echten Übergang in die Deployment-Phase müsste sich der Markt von diesen Kapriolen emanzipieren – sprich: fundamentale Wertschöpfung und Nutzen müssten die Oberhand über reine Spekulation gewinnen.
Derzeit jedoch sind Phasen spekulativer Euphorie weiterhin sichtbar, was Zweifel nährt, ob die „Frenzy“ wirklich vorbei ist.
Fragmentierung der Industrie und fehlende strategische Ausrichtung
Die Kryptoindustrie als Ganzes wirkt noch ausgesprochen fragmentiert, was den kohärenten Übergang zur Reife hemmt. Es existieren über 20.000 verschiedene Kryptowährungen und Token (Stand Feb. 2025), Hunderte von Blockchains sowie unzählige Plattformen und Börsen – oftmals mit konkurrierenden Standards und wenig Interoperabilität. Dieses Nebeneinander vieler Insellösungen erinnert an die frühen Stadien anderer Technologien, in denen erst in der Deployment-Phase Konsolidierung und Standardisierung stattfinden. Für Außenstehende – Nutzer wie Regulatoren – ist die Krypto-Landschaft dadurch schwer zu durchschauen.
Zudem fehlt der Branche eine einheitliche Selbstrepräsentation oder Strategie: Unterschiedliche Lager (z.B. Bitcoin-Maximalisten vs. Altcoiner) verfolgen disparate Interessen, was konsistente Lobbyarbeit und gemeinsame Qualitätsstandards erschwert. Ein Indiz dafür ist die langsame Etablierung branchenweiter Best Practices bei Themen wie Sicherheit, Transparenz oder Compliance. Während einige Unternehmen proaktiv Regulierung und Lizenzierung suchen (etwa regulierte Börsen in den USA oder Europa), agiert ein großer Teil des Marktes weiterhin in juristischen Grauzonen oder offshore, was Gesamtfortschritte unterminiert. Die Folge ist ein Mangel an Vertrauen seitens des Mainstreams: Solange es zugleich hochseriöse Akteure und eine Flut fragwürdiger Projekte gibt, bleibt das Gesamtimage durchwachsen. Selbst innerhalb bestimmter Krypto-Sektoren zeigt sich die Fragmentierung – etwa existieren Dutzende konkurrierende Stablecoins, NFT-Marktplätze, Layer-1- oder Layer-2-Chains, anstatt dass sich wenige robuste Gewinner durchsetzen.
Perez’ Deployment-Phase hingegen ist geprägt von einer Konsolidierung: erfolgreiche Modelle setzen sich durch und bilden die Basis für breite Diffusion. Im Kryptobereich ist diese Konsolidierung erst ansatzweise im Gange (man sieht z.B. Konzentration bei Bitcoin und Ethereum oder auch Solana als dominierende Plattformen, während viele Altcoins an Bedeutung verlieren). Doch insgesamt bleibt die Industrie bislang zersplittert, was die effiziente Einsatzperiode verzögert.
Fortbestehen unseriöser Akteure und Risiken
Schließlich wird der Reifungsprozess durch weiterhin auftretende Betrugsfälle, Hackerangriffe und Insolvenzen belastet. Im Jahr 2022 wurden in nie da gewesener Höhe Krypto-Diebstähle verzeichnet (über 3,8 Mrd. $ gingen durch Hacks verloren) und auch 2023 und 2024 kam es zu mehreren Angriffen auf DeFi-Protokolle mit Milliarden Verlusten. Auch der jüngste Hack der Kryptobörse Bybit zeigte eindrücklich, dass auch etablierte Plattformen nicht immun gegen Cyberangriffe sind. Angreifer nutzten offenbar Sicherheitslücken aus, und erbeuteten 1,4 Milliarden $ von der Lazarus-Gruppe, der größte Krypto-Hack aller Zeiten. Solche Sicherheitslücken erschüttern das Vertrauen und weisen darauf hin, dass Technologie und Governance in vielen Projekten noch unreif sind.
Ebenso tauchen weiterhin Scams und betrügerische Projekte auf – vom klassischen Ponzi-Schema bis zu Promi-Promotionen für wertlose Token. Jeder neue Skandal (etwa der Rug-Pull des LIBRA Token den der argentinische Präsident Milei beworben hatte) hält die Erinnerung wach, dass der Sektor noch nicht die Verlässlichkeit traditioneller Finanzmärkte erreicht hat. Regulierer betonen folglich die Notwendigkeit von Anlegerschutz und haben ihre Aufsicht verschärft, was zwar langfristig positiv ist, aber kurzfristig die Deployment-Phase verzögern kann, solange die „schwarzen Schafe“ nicht ausgesiebt sind.
Unterm Strich signalisiert die Präsenz solcher unseriöser Akteure und systemischer Risiken, dass das “Aufräumen” nach dem großen Crash möglicherweise noch andauert. Gemäß Perez muss jedoch genau diese Bereinigung und Neuordnung abgeschlossen sein, bevor das volle Potenzial der neuen Technologie ausgeschöpft werden kann. Insofern sind die anhaltenden Negativschlagzeilen ein Bremsklotz auf dem Weg zur vollständig etablierten Krypto-Ökonomie.
Fazit
Die Analyse des Kryptomarktes anhand von Carlota Perez’ Phasenmodell zeigt ein ambivalentes Bild. Einerseits sind klare Fortschritte Richtung Deployment-Phase erkennbar: Die exzessive Aufbau- und Experimentierphase der 2010er Jahre kulminierte in einem großen Einschnitt (dem Crash 2022), nach dem nun eine Neuorientierung eingesetzt hat. Regulatorische Rahmen werden geschaffen, seriöse Finanzakteure engagieren sich in nie gekanntem Ausmaß, und die Technologie beweist zunehmend praktischen Nutzen jenseits von Kursspekulation. All dies entspricht den Erwartungen an den Übergang in eine stabile Einsatzperiode, in der die Technologie in den produktiven Alltag integriert wird. Sollte dieser Trend anhalten, könnte die Krypto-Branche in den kommenden Jahren in eine „Goldene Ära“ eintreten, in der laut Perez Produktionskapital und gesellschaftlicher Nutzen im Vordergrund stehen.
Andererseits darf man die bestehenden Unreifezeichen nicht übersehen. Noch ist die Krypto-Ökonomie nicht vollständig im Mainstream verankert, zu volatil sind mitunter die Marktbewegungen und zu groß die strukturellen Hausaufgaben. Die jüngsten Entwicklungen – von politischer Unsicherheit über neue Meme-Spekulationen bis hin zu fortdauernden Betrugsfällen – unterstreichen, dass ein gewisses Maß an „Frenzy“ weiterhin präsent ist. In Perez’ Begriffen könnte man sagen: Der Wendepunkt ist zwar erreicht oder nah, aber die Synergiephase ist noch im Aufbau. Oftmals zeigt sich, dass nach einem Crash eine gewisse Zeit der Neuordnung nötig ist, bevor der Aufschwung richtig Fahrt aufnimmt. Genau in dieser Übergangszeit scheint sich der Kryptomarkt momentan zu befinden. Es gibt Licht und Schatten: Zum einen zunehmende Legitimation und Strukturierung, zum anderen punktuelle Rückfälle in alte Muster.
Insgesamt lässt sich festhalten, dass der Kryptomarkt noch nicht völlig gereift ist, aber wichtige Schritte in Richtung Reife unternimmt. Ob er tatsächlich die vollentwickelte Deployment-Phase erreicht, hängt von mehreren Faktoren ab: Gelingt es, ein weltweites Mindestmaß an regulatorischer Harmonisierung und Vertrauen zu schaffen? Setzt sich echte Innovation und breiter Nutzen gegenüber bloßer Spekulation durch? Werden die Fragmentierungen überwunden und die schwarzen Schafe eliminiert?
Die Weichen hierfür werden jetzt gestellt. Perez’ Modell liefert dabei einen wertvollen Orientierungsrahmen: Es mahnt, dass nach der Sturm-und-Drang-Zeit erst eine gesellschaftliche Adaptation und Regulierung stattfinden muss, bevor sich das Potential der Technologie entfaltet. Der Kryptomarkt bewegt sich genau in diesem Spannungsfeld. Die kommenden Jahre werden zeigen, ob er sein Erwachsenenalter erreicht – mit allen Chancen eines neuen Paradigmas. In Anbetracht der aktuellen Indikatoren bestehen gute Gründe für verhaltenen Optimismus, dass sich das zuvor primär experimentelle Krypto-Ökosystem zunehmend zu einer stabilen, regulierten Einsatzperiode hin entwickelt – auch wenn der endgültige Durchbruch zur Nachhaltigkeit erst noch unter Beweis zu stellen ist.