Willkommen zu unserer Artikelserie „Finanzdienstleister in der Aufmerksamkeitsökonomie“. In dieser Serie beleuchten wir die tiefgreifenden Veränderungen, die das Internet und die digitale Kultur auf die Finanzbranche ausüben. Wir befinden uns in einer Ära, in der Aufmerksamkeit zur wertvollsten Ressource geworden ist. Diese Entwicklung hat nicht nur die Art und Weise, wie wir Informationen konsumieren, sondern auch, wie wir finanzielle Entscheidungen treffen, grundlegend verändert.
Was erwartet Sie in dieser Serie?
- Teil 1: Von der Aufmerksamkeitsökonomie zur Memefikation – Ein neues Imperativ für Finanzdienstleistungen
Im ersten Teil untersuchen wir, wie die Aufmerksamkeitsökonomie die Finanzmärkte beeinflusst und wie Memes, als kulturelle Phänomene, die Finanzwelt durchdringen. Sie erfahren, wie junge Investoren durch die Meme-Kultur geprägt werden und welche neuen Herausforderungen und Chancen sich daraus für Finanzdienstleister ergeben. - Teil 2: Memecoins als (bisheriger) Gipfel der Aufmerksamkeitsökonomie verstehen!
Im zweiten Teil widmen wir uns den Memecoins, die als ultimative Verkörperung der Aufmerksamkeitsökonomie gelten. Wir analysieren, wie Memecoins entstehen, welche Mechanismen ihren Wert treiben und welche Risiken und Chancen sie mit sich bringen. Zudem diskutieren wir den sogenannten „finanziellen Nihilismus“ und seine Auswirkungen auf die jüngeren Generationen. - Teil 3: Best Practices aus anderen Branchen analysiert und übertragen
In den kommenden Teilen werden wir Best Practices aus anderen Branchen vorstellen und aufzeigen, wie Finanzdienstleister diese erfolgreich adaptieren können.
Finanzdienstleister in der Aufmerksamkeitsökonomie (Teil 1):
Selbst wenig aufmerksame Beobachter konnten beobachten, wie sich das Memestock-Karussell Anfang des Jahres wieder gedreht hat. Ein Posting von Roaring Kitty reichte aus, um den Gamestop-Kurs erneut nach oben zu treiben. Dem folgten alte Bekannte wie AMC, aber auch Memecoins pushen aktuell ihre ohnehin schon starken Kursgewinne weiter. Einher geht das Ganze mit einer anhaltenden AI-Frenzy. Dabei schauen Anleger, ähnlich wie zu Zeiten des Booms 2021, ob das (AI-)Narrativ passt, nicht aber, ob die Bilanzen, die Profitabilität oder die Bewertungen passen.
Wer also auf einen rationaleren Markt nach dem Boom von 2021 und mit dem Ende der Ära des billigen Geldes gehofft hat, wurde ein Stückweit enttäuscht. Dies liegt auch daran, dass viele die neue Natur des Marktes missverstehen: Finanzen sind längst Teil der Aufmerksamkeitsökonomie und damit auch Teil der Internetkultur geworden, in der mimetisches Verhalten eine zentrale Rolle spielt.
Memefikation: Die Verschmelzung von Internetkultur, Medien und Finanzen
Grob lässt sich mimentisches Verhalten als die Weitergabe von kulturellen Elementen durch Nachahmung beschreiben, im Internet meistens in Form von Memes. Unter Memefikation der Finanzen lässt sich in dem Sinne die Verschmelzung von Internetkultur, Medien und Finanzen verstehen.
Mit der Memefikation einher geht eine Veränderung des Umgangs der jüngeren Generation mit Finanzen. Junge Menschen reden mehr über ihre Finanzen, feiern gemeinsam ihre Gewinne, aber auch ihre Verluste und teilen dies offen in Foren, Communities und Chats. Oft werden die gemeinsamen Erfahrungen als Memes verpackt und dienen als gemeinsamer kultureller Hintergrund und Erinnerungskultur.
Heimisch in dieser neuen Welt sind vor allem die Digital Natives der Generation Z und teilweise der Millennials, die Memecoins und Stonks deutlich mehr Aufmerksamkeit widmen als restlichen Finanzdienstleistungen. Dabei sind die jungen Investoren offensichtlich risikofreudiger, aber auch gebildeter. Vielen ist bewusst, dass Gamestop, AMC, Krypto im Generellen und Memecoins im Speziellen risikoreiche Investments sind. Die Mischung aus Spaß, Gemeinschaft und die Chance auf einen hohen Gewinn machen das Risiko wett. Die Zahlen des Deutschen Aktieninstituts lassen zudem darauf schließen, dass viele jungen Investoren ETF-Sparpläne im Hintergrund laufen haben und nur einen Teil ihres Geldes riskieren.
Memefication kennenlernen- Beispiele aus dem Kundenalltag
Wie Memefication aussehen kann, zeigt der deutsche Instagram Account hedgefonds.henning, den wohl viele der jüngeren Menschen kennen
hedgefonds.henning ist die erfolgreichste deutsche Finanz-Meme-Seite auf Instagram mit über 285.000 Followern, arbeitet viel mit Klischees und Selbstironie, was bei der Zielgruppe gut ankommt. In den USA haben sich Accounts wie Litquidity und Arbitrage Andy bereits als einflussreiche Stimmen in der Finanzwelt etabliert. Bekannt wurde Litquidity unter anderem durch die Veröffentlichung einer Präsentation von Goldman Sachs Analysten zu den harten Arbeitsbedingungen während der Pandemie, was zu einem Wettbewerb um bessere Konditionen für Juniorbanker führte. Inzwischen hat arbeitet der Gründer von Litquidity nebenher als Scout für Bain Capital Ventures und hat mit Litquidity Capital in über 30 Startups investiert. Auch Arbitrage Andy hat sich mit originellen Memes und Videos eine große Fangemeinde auf Instagram, Twitter und Substack aufgebaut. Neben witzigen Inhalten zu Finanzthemen bietet er ebenfalls einen eigenen VC Fonds an.
Diese Accounts zeigen, wie sich die Kommunikation über Finanzen in der jüngeren Generation verändert. Ernste Themen werden humorvoll und unterhaltsam aufbereitet, Gewinne und Verluste offen geteilt. Dabei entsteht ein Gemeinschaftsgefühl und eine neue Erinnerungskultur, die stark von der Meme-Kultur geprägt ist. Insgesamt zeigt sich, dass Finanzthemen längst Teil der Aufmerksamkeitsökonomie und der Internetkultur geworden sind. Erfolgreiche Akteure wie hedgefonds.henning, Litquidity und Arbitrage Andy verstehen es, diese Mechanismen für sich zu nutzen und zu Meinungsmachern in der Finanzwelt zu werden. Für traditionelle Finanzdienstleister wird es zunehmend wichtig, sich dieser Entwicklung anzupassen und neue Wege zu finden, um die junge Zielgruppe zu erreichen.
Aufmerksamkeitsökonomie – Eine Realität die sich Finanzdienstleister stellen müssen
Die Memefication der Finanzbranche ist dabei nur Teil einer größeren Entwicklung, die bereits mit Beginn des Web 2.0 begonnen hat (Plattform Age): In den letzten Jahrzehnten hat sich ein fundamentaler Wandel in unserer Wirtschaft vollzogen. Wir sind (Achtung Plattitüde!) von einer Ölwirtschaft zu einer Aufmerksamkeitsökonomie übergegangen. In einer Zeit des Informationsüberflusses ist Aufmerksamkeit zur knappen und damit wertvollen Ressource geworden. Unternehmen – von Apple über Amazon bis hin zu Facebook und TikTok – haben ihren Erfolg darauf aufgebaut, die Aufmerksamkeit der Menschen zu gewinnen, zu monetarisieren und zu binden. Doch viele traditionelle Finanzdienstleister scheinen diese tektonische Verschiebung noch nicht vollständig erfasst zu haben. Sie agieren oft noch in einer Welt, in der das Prädikat Hausbank allein ausreicht, um Kunden zu gewinnen und zu halten.
Dabei konkurrieren Angebote von Finanzdienstleister längst nicht mehr nur mit denen anderer Banken und Versicherungen, sondern mit allem, was um die Aufmerksamkeit der Menschen buhlt – von sozialen Medien über Streamingdienste bis hin zu Memes.
Um in dieser neuen Realität zu bestehen, müssen Finanzdienstleister umdenken. Sie müssen verstehen, dass jede Interaktion mit ihren Kunden, jeder Touchpoint Teil eines Wettbewerbs um Aufmerksamkeit ist. Das erfordert ein Überdenken des gesamten Kundenerlebnisses. Es gilt, die eigenen Angebote so relevant und seamless in den Alltag der Menschen zu integrieren, dass sie sich im Rauschen des Aufmerksamkeitswettbewerbs durchsetzen können. Nur wenn Finanzdienstleister es schaffen, mehr als eine Transaktion zu sein, wenn sie zu einem festen und geschätzten Bestandteil des Lebens ihrer Kunden werden, haben sie eine Chance im Kampf um die wertvollste Ressource unserer Zeit – die Aufmerksamkeit.